In der Anfangsphase verhält sich der Mensch mit narzisstischen Zügen
komplementär, d. h., dass er den anderen in allem bejaht, von allem
begeistert ist, Dinge vollbringt, nach denen sich der andere schon immer
gesehnt hat (narzisstische Menschen verfügen zwar über eine geringe
Empathie, nichtsdestotrotz erkennen sie zielsicher die Bedürfnisse des
anderen als dessen Schwachstelle) usw. Die Spielarten dieser Eroberung
sind ebenso vielfältig wie die Bedürfnisse der "Opfer": Kommt das
"Opfer" aus einer sexuell frustrierenden Beziehung, wird die
Erotik-Geige gespielt, legt das "Opfer" großen Wert auf seine
intellektuellen Fähigkeiten, wird die Diskussions-Geige gestimmt etc.
Wenn dann das "Opfer" erobert ist, weil es sich am Ziel seiner Wünsche
sieht, geht es mit der zweiten Phase los: Kontrolle durch Abwertung und
Distanz. Um auf meine Quintessenz zurückzukommen: Wer in der ersten
Phase AN SICH noch nichts ungewöhnliches festgestellt hat, der müsste
spätestens jetzt etwas AN SICH bemerken. Während in der ersten Phase der
Interessenverlust an allem, was einem ansonsten viel gegeben hat, noch
durch das Gefühl der grenzenlosen Liebe erklärbar schien, so macht es ab
der zweiten (und immer schon finalen) Phase Probleme zu verstehen,
warum man SICH SELBST so verändert hat: Das ewige Kreisen des Narzissten
um seine Bedürfnisse hat zum Resultat -sofern sich das "Opfer" auf
diese Umlaufbahn begeben hat- dass man sich von seinen eigenen
Bedürfnissen entfremdet hat.
Wer auf die plötzlichen Wutanfälle mit Besserungsplänen reagiert, um die
"Harmonie" der Eroberungsphase wiederherzustellen, der hat schon der
ersten Schritt zur SELBSTZAUFGABE vollzogen; der narzisstische Partner
hat ab hier bereits sein Gefühls-Vampirismus-Programm auf der ersten
Stufe in die Tat umgesetzt. Die weiteren Stufen des Zersetzungsprozesses
spiegeln sich in der Gedankenwelt des "Opfers" in folgenden Gedanken
und Nöten wider: Wie kann ich es wieder hinbekommen, dass es so wird wie
früher? Habe ich wirklich etwas falsch gemacht? Kann ich die Probleme
nicht "wegschmusen"?
Des Weiteren merkt das "Opfer" AN SICH eine ständige Verunsicherung, was
die Belastbarkeit der Beziehung angeht. Es melden sich Ängste, ob man
je noch einmal einen so tollen Partner findet - obwohl die Beziehung
mittlerweile alles andere als toll ist. Der eigene Freundeskreis -sofern
überhaupt noch vorhanden- ist ein weiterer guter Indikator dafür, ob
man es mit einem narzisstischen Partner zu tun hat: Die allermeisten
können nämlich die andauernden Klagen über die unglückliche Beziehung
einfach nicht mehr hören, und zwar zu recht!
Der letzte Indikator ist meiner Meinung nach, dass das "Opfer" AN SICH
feststellt, dass es kaum Möglichkeiten sieht, diese Beziehung verlassen
zu können: Die Manipulationen des Narzissten haben bereits für eine so
großen Verunsicherung geführt, dass MAN SELBER kaum noch weiß, was EINEM
SELBST gut tut. Schafft man dann doch den Absprung, dann meist nur mit
professioneller Hilfe, weil das Selbstwertgefühl so gut wie gar nicht
mehr existiert. Man glaubt allen Ernstes, ohne den anderen nie wieder
glücklich werden zu können, obwohl man es schon lange Zeit gar nicht
mehr war.
Das Problem an der Erkenntnis, dass man an einen narzisstischen Menschen
geraten ist, besteht darin, dass man schon nach kurzer Zeit auf die von
mir beschrieben Dinge nicht mehr hört; anders: Man verlernt sehr
schnell auf die eigene innere Stimme zu hören. Darin besteht die
Schwierigkeit.
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